‚El Bote’ bezeichnet in Palmasola eine Strafzelle, in die man wegen Verstößen gegen die gefängnisinternen Regeln verlegt wird. In der Schweiz oder in Deutschland wäre diese disziplinarische Maßnahme möglicherweise Isolationshaft. In Palmasola kommt man hingegen in komplett überfüllte Zellen. Bis vor kurzem entschieden die Vertreter der Gefangenen, wer in den ‚Bote’ muss, jetzt verfügt das offiziell die Polizei. Wie korrekt und nach genau welchen Regeln das im Einzelnen abläuft, wie stark die Überbelegung ist und wie gut die Kontrolle der körperlichen und sexuellen Übergriffe seitens der Insassen und der Polizei funktioniert, dazu haben wir in den letzten Tagen sehr unterschiedliche Schilderungen gehört. Man berichtete uns vom Einsatz von Schlagstöcken durch die Polizisten, aber auch von Vergewaltigungen von Insassen durch Insassen, vor allem im ‚Männer-Bote’.
Jeder Gefängnistrakt hat mindestens einen, wenn nicht zwei ‚Bote’. Darüber hinaus gibt es den großen ‚Bote’, der sich zwischen der großen Gefängnismauer, die das ganze Gelände umgibt, und dem Frauentrakt befindet. Man gelangt innerhalb des PC1 dorthin über einen Trampelpfad, der von der asphaltierten Straße abzweigt, die vom Eingangsportal bis zum PC 4 führt.
Vier aus unserer Gruppe sind letzten Freitag, am Ende unseres vierten Tages in Palmasola, dort hingegangen. Wir waren guter Laune, weil unsere Tage, trotz aller schwierigen Schicksale, von denen wir hörten und trotz aller Ungerechtigkeiten, von denen man uns erzählte, interessant und erfüllt waren. Die Menschen, denen wir in den Workshops und Interviews begegneten, wirkten vital, manche waren wütend oder latent aggressiv, aber für die Verhältnisse, innerhalb derer sie leben oder überleben müssen, doch irgendwie selbstbestimmt. Wir hatten den Eindruck, viele Gefängnisinsassen versuchen, mit den Mitteln, die ihnen zu Verfügung stehen, ihre Würde zu behalten. Als wir vor dem großen ‚Bote’ standen, waren wir sprachlos und schockiert. Man hatte uns diesen Ort zwar bereits mehrfach beschrieben, ihn dann aber tatsächlich zu sehen, war unbeschreiblich schrecklich, verstörend, im wahrsten Sinne des Wortes ‚unglaublich’, obwohl wir direkt davor standen.
Der große ‚Bote’ besteht aus einer Baracke mit sieben aneinandergereihten Zellen. Dieses Gebäude ist - wie bei einem Hundezwinger - mit einem Maschendraht umzäunt. Jede Zelle hat eine Fläche von ca. 1,80 x 2 Metern, die Tür besteht aus ca. 1 cm dicken Gitterstäben. An jeder Tür hängt ein großes Vorhängeschloss. Die Zellen wurden für je eine Person konzipiert, sind aber jetzt in der Regel mit zehn bis zwölf Gefangenen belegt. Eine Ausnahme stellt die von links gezählt dritte Zelle dar. In ihr sind weibliche Gefangene eingeschlossen. Sie ist manchmal mit nur sechs Personen belegt.
Die Gefangenen hingen, als wir kamen, aneinander gedrängt an den Gitterstäben, um frische Luft zu bekommen oder etwas zu sehen, in diesem Fall uns. Sie riefen uns zu, dass sie etwas zu trinken brauchen, dass sie Hilfe brauchen, dass ihre Situation die Menschenrechte verletzt und vieles mehr. Auf eine Distanz von ca. vier Metern, der Maschendraht trennte uns von den vergitterten Türen, versuchten wir uns, mit ihnen zu unterhalten. Wer genau was berichtete, war nicht leicht zuzuordnen, da alle durcheinander sprachen und das Menschenknäuel in jeder Zelle so dicht war, dass man die einzelnen Personen nicht immer unterscheiden konnte.
Als wir sie nach ihrem Verhältnis zur Polizei fragten, zog einer die Hosen runter und zeigte uns die schwarzblauen Hämatome an seinen beiden Oberschenkel, die präzise die Form eines Holzpaddels hatten.
Auf die Frage, ob Tiere oder Insekten in ihren Zelle sind, erzählten sie uns als erstes von ungefähr drei Zentimeter lagen Würmern, die Blut saugen. Dann beschrieben sie die Spinnen. Größere Probleme scheinen ihnen die Ameisen zu bereiten. Dass es Kakerlaken gibt, war so selbstverständlich, dass sie es kaum erwähnten.
Da es nicht genügend Platz für alle am Boden gibt, schlafen nachts manche von ihnen im Stehen. In einem Turnus von zwei Stunden wird gewechselt.
In den Zellen scheint es unerträglich heiß zu sein. Sicher allein schon aufgrund der Überbelegung, aber vor allem, weil die Baracke nur mit einem Wellblech bedeckt ist, auf das die Sonne bei klarem Himmel herunterbrennt. Während unseres jetzigen Aufenthalts lag der heißeste Tag bei 38 Grad. Höhere Temperaturen sind häufig möglich. Dazu kommt die sehr hohe Luftfeuchtigkeit.
Ein Bild, das sich uns allen eingeprägt hat, war ein Arm, der 30 Zentimeter über dem Boden durch ein enges Loch in der Wand herausragte, uns zuwinkte und keinem Körper zuzuordnen war. Einige Zeit später blickte durch das selbe Loch ein Augenpaar und eine Stimme rief uns etwas zu, das wir nicht verstehen konnten.
Unsere Unterhaltung mit den Gefangenen wurde unterbrochen, als zwei Polizisten uns klarmachten, dass es uns nicht erlaubt ist, diesen ‚Bote’ zu besichtigen. Wir hoffen, dass wir uns damit nicht das Vertrauen der Polizei verspielt haben und unsere zukünftigen Besuche und Workshops in Palmasola gefährden.
Dies für heute. Morgen ist der letzte Tag unserer ersten Recherche- und Probenphase und wir fahren für kurze Zeit zurück in die Schweiz und nach Deutschland. Ab dem 18. Februar sind wir wieder hier in Santa Cruz de la Sierra.