Wir sind seit letzten Sonntag wieder alle in Santa Cruz, denn unsere zweite Arbeitsphase in Bolivien hat begonnen. Gestern Morgen um 4.30 fuhren wir nach Palmasola, waren diesmal aber nicht in der Haftanstalt, sondern hielten uns vor dem grossen Eingangstor auf. Wir wollten einen Eindruck bekommen, was es bedeutet, als Besucherin zusammen mit hunderten weiteren Frauen stundenlang Schlange zu stehen, um ab 8.30 in kleinen Gruppen zunächst zur Ausweiskontrolle und Leibesvisite vorgelassen zu werden und schließlich hoffentlich für einen Besuch des Liebsten passieren zu können.
Doch eigentlich sind wir momentan vorwiegend mit der Frage beschäftigt, wie wir an die Schengen-Visen für die bolivianischen Kollegen kommen, statt uns um weitere Recherchen und Proben für unser Projekt zu kümmern. Unsere nächste Arbeitsphase findet im März in Basel statt und ohne die entsprechenden Einreisepapiere kann diese Probenphase nicht stattfinden. Damit wäre nicht nur der kommende Probenblock, sondern das ganze Projekt gefährdet.
Vor eineinhalb Wochen, am Tag vor unserem Abflug in Europa, erhielten wir von unseren bolivianischen Kollegen die Nachricht, dass ihr erster Visaantrag von der spanischen Botschaft abgelehnt wurde. Die Schweiz ist in Santa Cruz nur durch einen Honorarkonsul vertreten. In La Paz gibt es eine Schweizer Botschaft, die aber nur diplomatische Beziehungen mit Bolivien unterhält. Für konsularische Angelegenheiten und für Visaanträge ist die Schweizer Botschaft in Lima, Peru zuständig, was von Santa Cruz 2'000 km entfernt ist. Darum hat die Schweiz die Abwicklung der Visaanträge an die Spanier delegiert. Die Spanier sind in letzter Zeit aber sehr zurückhaltend, was Visen für Europa angeht. Der eindeutige Auftrag, Europa vor unerwünschten Einwanderern zu schützen, ist auch hier angekommen.
Was können wir tun? Die Schweizer Botschaft und der Schweizer Honorarkonsul unterstützen uns, so gut sie können mit Briefen und Telefonaten. Ebenso Pro Helvetia. Aber letztlich ist entscheidend, ob der spanische Konsul darauf vertraut, dass unsere bolivianischen Kollegen Europa auch wieder verlassen werden. Wenn er einem Visumantrag zustimmt, die Bolivianer aber nicht zurückreisen, hat er berufliche Konsequenzen zu befürchten.
Wie beweist man aber, dass Arbeitskollegen wieder in ihr Herkunftsland zurückreisen werden? Bereits für den ersten Visaantrag hatten wir für alle Hin- und Rückflüge gekauft. Alle haben eine Auslandskrankenversicherung, KLARA als Gruppe und ich als Einzelperson garantieren die Lebenshaltungskosten und stellen Unterkünfte für alle. Doch irgendetwas scheint zu fehlen, aber was genau, konnten wir bisher nicht verlässlich in Erfahrung bringen.
Durch Vermittlung der Schweizer Botschaft hatten wir einen Termin mit dem spanischen Konsul, um unsere Situation zu klären. Dieser liess uns ausrichten, dass statt ihm selbst uns sein Sekretär empfangen würde. Der rief uns an, dass wir für das Treffen eine Reihe neuer Dokumente zusammenstellen müssen - unter anderem Belege der monatlichen Lohnzahlungen an die bolivianischen Schauspieler, die aber von uns gar nicht zu dokumentieren sind, weil es keine monatlichen Einkünfte gibt. Irgendwie haben es unsere bolivianischen Kollegen aber doch geschafft, Belege dieser Art zu organisieren, KLARA hat zudem allen einen grösseren Vorschuss aufs Konto überweisen, wir waren also gut für das Gespräch vorbereitet. Doch der Sekretär des Konsuls hat das Treffen kurzerhand abgesagt. Also standen wir einmal mehr Schlange, um zum mittlerweile vierten Mal mit einer Mitarbeiterin des Konsulats sprechen, ihr die neu zusammengestellten Belege, sowie ein Empfehlungsschreiben von Pro Helvetia, die Einladungen der Schweizer Theater, die Kontodokumente von KLARA und mir persönlich und viele weitere Dokumente auszuhändigen. Die Konsulatsmitarbeiterin legte unsere Papiere auf einen grossen Stapel mit anderen Visaanträgen und wünschte uns viel Glück.
Nächsten Montag, Dienstag und Mittwoch sind wir voraussichtlich wieder in Palmasola, um interessierten Insassen einen Kurzfilmworkshop zu geben, in dem sie ihren Gefängnisalltag dokumentieren. Unser Ensemble wird diese Szenen gemäss den Anweisungen der Häftlinge dann für die Kamera nachspielen, da aus rechtlichen Gründen, die Insassen nur bedingt auf Fotos und Videos auftauchen dürfen. Nach einer Woche Bürokratie freuen wir uns also sehr, bald endlich wieder ins Gefängnis gehen zu können.